Schadet Deflation der Wirtschaft?
Deflation beschreibt einen allgemeinen Rückgang des Preisniveaus und gilt vielen Politikern und Ökonomen als gefährliche Bedrohung für die Wirtschaft. So warnte der ehemalige US-Notenbankchef Ben Bernanke, dass anhaltende Deflation „für eine moderne Wirtschaft zerstörerisch sein und entschieden bekämpft werden“. Zentralbanken weltweit setzen daher alles daran, Preisrückgänge zu verhindern. Vertreter der österreichischen Schule der Nationalökonomie halten die verbreitete Angst vor Deflation jedoch für übertrieben. Ihrer Ansicht nach hängt es stark von den Ursachen ab, ob Deflation schädlich ist – in vielen Fällen seien fallende Preise sogar grundsätzlich begrüßenswert, während Gegenmaßnahmen der Zentralbank weit größere Schäden anrichten.
Was ist Deflation?
In der Volkswirtschaftslehre bezeichnet Deflation einen anhaltenden allgemeinen Rückgang des Preisniveaus für Waren und Dienstleistungen. Das heißt, dass man für die gleiche Menge Geld im Zeitverlauf mehr Güter kaufen kann – die Kaufkraft des Geldes nimmt zu. Anders ausgedrückt handelt es sich um eine negative Inflation, wenn die Inflationsrate unter 0 % fällt. Typischerweise wird Deflation anhand von Preisindizes wie dem Verbraucherpreisindex gemessen, der einen Warenkorb verschiedener Güter umfasst. Fallen diese Preise im Durchschnitt über einen gewissen Zeitraum, spricht man von Deflation.
Hinweis: In früherer Zeit wurde der Begriff Deflation oft enger definiert als Rückgang der Geldmenge (im Gegensatz zur Inflation als Ausweitung der Geldmenge). Seit Mitte des 20. Jahrhunderts hat sich allerdings die Definition gewandelt – heute versteht man unter Deflation meist direkt den Rückgang des allgemeinen Preisniveaus. In der Praxis gehen Geldmengenentwicklung und Preisniveau oft Hand in Hand, doch diese Unterscheidung spielt in verschiedenen ökonomischen Schulen eine Rolle.
Im Normalfall erleben moderne Volkswirtschaften eher einen leichten Preisanstieg (Inflation) als dauerhafte Deflation. Zentralbanken wie die US-Federal Reserve oder die Europäische Zentralbank (EZB) verfolgen typischerweise ein Inflationsziel (z.B. ~2 % jährlich) und ergreifen geldpolitische Maßnahmen, um anhaltende Deflation zu vermeiden. Dass Deflation heute selten geworden ist, liegt daran, dass die Geldpolitik aktiv dagegen steuert.
Was verursacht Deflation?
Deflation kann durch unterschiedliche Ursachen entstehen. Grundsätzlich fällt das Preisniveau, wenn das Angebot an Gütern steigt, die Nachfrage nach Gütern sinkt oder weniger Geld im Umlauf ist. Diese Situationen können verschiedene Auslöser haben:
- Produktivitätssteigerung und Wachstum: Wenn eine Volkswirtschaft effizienter wird, technischer Fortschritt und Innovation die Produktionskosten senken oder ein Überangebot an bestimmten Waren besteht, können Preise trotz wachsender Wirtschaft fallen. Dieses Szenario wird in der österreichischen Schule als Wachstumsdeflation bezeichnet. Historisches Beispiel: In den USA sanken nach dem Bürgerkrieg über 30 Jahre lang die Preise, ohne das Wirtschaftswachstum zu bremsen – im Gegenteil, die Preise fielen gerade aufgrund des starken Wachstums. Solch Deflation durch höhere Produktivität erhöht den Lebensstandard, da Waren für Verbraucher erschwinglicher werden.
- Nachfragerückgang (Rezession): In einer Wirtschaftskrise oder Rezession sinkt oft die gesamtwirtschaftliche Nachfrage nach Gütern und Dienstleistungen – etwa weil Verbraucher und Unternehmen weniger ausgeben (sei es aus Pessimismus, Einkommenseinbußen oder erhöhter Sparneigung). Anbieter sehen sich gezwungen, Preise zu senken, um ihre Lager abzubauen und Verkäufe anzukurbeln. Ein drastisches aktuelles Beispiel war die COVID-19-Krise: Durch Lockdowns und Verunsicherung brach 2020 die Nachfrage ein, und die Verbraucherpreise fielen im März 2020 so stark wie seit 5 Jahren nicht mehr. Ökonomen warnten damals, dass Unternehmen Preise drastisch reduzieren müssten, um die fehlende Nachfrage anzuregen – ein Umfeld, in dem Deflation für einige Monate tatsächlich eintrat. Solche nachfragebedingten Preisrückgänge gehen oft mit Arbeitslosigkeit einher.
- Monetäre Deflation (Geldmengenrückgang): Eine weitere Ursache ist ein Rückgang der umlaufenden Geldmenge oder Kreditmenge. Wenn weniger Geld zur Verfügung steht, steigt der Wert des Geldes relativ zu Gütern – Preise müssen fallen. Klassisch trat dies während der Weltwirtschaftskrise der 1930er ein, als eine Welle von Bankenschließungen und Panik die Geldmenge in den USA um rund 30 % schrumpfen ließ. Aus Sicht der österreichischen Schule resultiert solch eine Kreditdeflation meist aus dem Platzen einer vorangegangenen Kreditblase: Nach einer Phase übermäßiger Kreditexpansion und Fehlinvestitionen kommt es zum Zusammenbruch. Diese Form der Deflation bereinigt die Wirtschaft von überinvestiven Exzessen – sie ist schmerzhaft, aber beseitigt Verzerrungen und fehlgeleitete Investitionen. Österreichische Ökonomen betonen, dass eine Kreditdeflation nur dann auftritt, wenn zuvor eine unnatürliche Blase durch künstlich günstiges Geld entstanden war – fällt diese zusammen, sind allgemeine Preisrückgänge ein Mechanismus, um die Wirtschaft wieder ins Gleichgewicht zu bringen.
- Staatliche Eingriffe: Schließlich kann Deflation auch administrativ ausgelöst werden, etwa durch staatliche Preiskontrollen nach unten oder Währungsreformen, bei denen Geld eingezogen wird. Solche Fälle sind selten. Aus ethischer Sicht betrachtet die österreichische Schule solch erzwungene Deflation als „schlecht“, da hier Preise nicht aufgrund natürlicher Marktprozesse fallen. In der Praxis spielen staatlich verordnete Preisrückgänge heute eine geringe Rolle, da Regierungen eher Inflation zur Schuldenreduktion nutzen als aktiv Geld aus dem Verkehr zu ziehen. Zusammengefasst: Deflation entsteht entweder „von selbst“ durch Marktprozesse (höhere Produktivität oder geringere Nachfrage) oder wird durch monetäre Faktoren (Geld-/Kreditangebot) verursacht. Für die Bewertung ist laut österreichischer Schule entscheidend, warum die Preise fallen: „Gute“ Deflation (z.B. Effizienzgewinne) ist unproblematisch oder sogar wünschenswert, während „schlechte“ Deflation (z.B. durch abrupten Geldmangel infolge früherer Fehlsteuerungen) zwar kurzzeitig schmerzhaft ist, aber ein notwendiger Korrekturprozess sein kann.
Wirtschaftliche Auswirkungen der Deflation
Die Folgen von Deflation auf die Wirtschaft hängen von ihrer Art und Dauer ab. In der öffentlichen Debatte dominieren jedoch meist die negativen Szenarien, die mit Deflation assoziiert werden. Das oft beschworene Schreckensbild ist eine Deflationsspirale, in der fallende Preise zu immer neuen wirtschaftlichen Einbußen führen. Die Mechanik dahinter lässt sich vereinfacht so beschreiben.
Wenn Preise heute sinken, neigen Verbraucher dazu, Käufe aufzuschieben, in der Erwartung, dass Waren in Zukunft noch billiger werden. Durch diese Konsumzurückhaltung nimmt die gesamtwirtschaftliche Nachfrage weiter ab.
Deflationsspirale: „Deflation, ein Rückgang des allgemeinen Preisniveaus, ist in einem Abschwung schädlich, da Konsumenten und Unternehmen Käufe aufschieben in Erwartung noch niedrigerer Preise.“
Während diese negativen Effekte real auftreten können, betonen Vertreter der österreichischen Schule, dass Deflation nicht gleich Deflation ist. Entscheidend sei, ob die Preisrückgänge mit realwirtschaftlichen Problemen einhergehen oder nicht. Deflation durch Produktivitätsfortschritte, hebt direkt die Kaufkraft der Verbraucher und senkt Lebenshaltungskosten. In solchen Fällen haben fallende Preise Wohlstandseffekte: Das gleiche Einkommen reicht für mehr Güter und Dienstleistungen. Wichtig ist hierbei, dass Produktivität und Einkommen oft parallel steigen – Löhne können zwar tendenziell etwas fallen oder stagnieren, aber wenn Kosten und Preise schneller sinken als die Löhne, steigt der reale Lohn. Ein bekanntes Beispiel ist der Elektroniksektor, wo kontinuierlich sinkende Preise (etwa für Computer oder Fernseher) die Qualität und Verbreitung der Produkte steigern, ohne dass die Branche kollabiert. Lokale Preisdeflation in einzelnen Sektoren (z.B. Tech-Produkte) ist in einer gesunden wachsenden Wirtschaft völlig normal und nicht furchteinflößend.
Anders sieht es bei einer gesamtwirtschaftlichen Deflation in einer Krise aus. Tritt diese als Folge einer geplatzten Blase oder eines Nachfrageschocks auf, gehen die kurzfristigen Auswirkungen oft Hand in Hand mit einer Rezession: steigende Arbeitslosigkeit, sinkende Investitionen und Firmenpleiten, wie oben beschrieben. Österreichische Ökonomen gestehen zu, dass so eine Kreditdeflation schmerzhaft ist – betonen aber, dass sie auch einen bereinigenden Effekt hat. Durch die Krise werden nämlich die zuvor getätigten Fehlinvestitionen schneller liquidiert: Unprofitable Unternehmen verschwinden oder schrumpfen, überteuerte Vermögenswerte (z.B. Immobilienpreise nach einer Spekulationsblase) fallen auf ein nachhaltiges Niveau, und insgesamt werden Ressourcen freigesetzt, die zuvor in unrentablen Projekten gebunden waren. Dieser Bereinigungsprozess kann die Grundlage für eine gesündere Erholung schaffen. Murray Rothbard und andere österreichische Vertreter argumentieren, dass die Rezession/Deflation von 1920–21 in den USA genau aus diesem Grund kurz war: Die Regierung griff kaum ein, ließ Preise, Löhne und unprofitable Strukturen sich ungehindert anpassen – und bereits nach einigen Monaten war der Spuk vorbei. Demgegenüber wurde die Große Depression ab 1929 auch deshalb so schwer und langanhaltend, weil Politik und Zentralbank versucht haben, ein schmerzhaftes Anpassungsszenario zu vermeiden. So hielt Präsident Hoover Löhne und Preise künstlich hoch, was die notwendige Anpassung verhinderte, und die Federal Reserve zögerte, den Kollaps der Geldmenge zu stoppen. Aus österreichischer Sicht verwandelte erst dieses Eingreifen bzw. Nicht-Loslassen eine normale (wenn auch heftige) Deflation in eine lähmende „Deflationskrise“. Hätte man den Markt sich schneller bereinigen lassen, so die Argumentation, wäre die Talsohle früher erreicht und überwunden worden.
Positive Effekte von Deflation
Abgesehen von krisenhaften Extremsituationen gibt es vorteilhafte Seiten eines moderaten Preisrückgangs. Zum einen steigert Deflation die Kaufkraft der Verbraucher, was kurzfristig den Konsum sogar beleben kann – sinkende Preise machen Lust auf Schnäppchen und erlauben es Haushalten, mehr Güter zu erwerben oder Ersparnisse aufzubauen. Außerdem begünstigt Deflation Sparer und Gläubiger: Wer Geldvermögen besitzt oder jemandem Geld geliehen hat, gewinnt real an Wert. Umgekehrt verlieren Schuldner, da ihre Verbindlichkeiten real schwerer wiegen – eine Umverteilung von Schuldnern zu Gläubigern findet statt. Aus Sicht der österreichischen Schule erklärt dieser Effekt auch, weshalb Regierungen Deflation so fürchten: Der Staat ist meist der größte Schuldner und profitiert von Inflation, während Deflation ihn real ärmer macht. Zum anderen entkräftet die österreichische Schule einen verbreiteten Irrglauben, nämlich dass in einem deflationären Umfeld niemand mehr investieren würde. Zwar mag ein Unternehmer bei ständig fallenden Absatzpreisen zögern – doch entscheidend ist die Gewinnmarge. Sinken gleichzeitig auch die Kosten (z.B. Löhne, Rohstoffe) ausreichend, können rentable Projekte trotz fallender Preise profitabel bleiben. Philipp Bagus betont, dass ein Investor selbst bei erwarteter Deflation investieren wird, solange er einen positiven Realgewinn erzielen kann.
Beispiel: Wenn das Preisniveau um 2 % pro Jahr fällt, aber ein Unternehmen 5 % Rendite erwirtschaftet, beträgt der Realgewinn immer noch 3 %. Zudem kann Finanzierung über Eigenkapital oder bereits vorhandene Ersparnisse in deflationären Zeiten attraktiv sein, da der Investor sein Geld am Ende in wertvollerer Währung zurückerhält. Die pauschale Aussage, Deflation würge Investitionen komplett ab, ist daher zu undifferenziert.
Anhaltende, allgemeine Deflation in einer stagnierenden Wirtschaft kann tatsächlich problematische Folgen haben (sinkende Nachfrage, Arbeitslosigkeit, Finanzinstabilität). Jedoch legen historische Erfahrungen und die Theorie der österreichischen Schule nahe, dass die Gefahren stark vom Kontext abhängen. Eine milde Deflation aufgrund steigender Produktivität ist kein Grund zur Panik, sondern eher ein Zeichen des Fortschritts. Die größte Gefahr entsteht, wenn Deflation unbedingt verhindert werden soll und dadurch Fehlanreize verlängert werden („Zombie-Unternehmen“ bei künstlich niedrigen Zinsen).
Das solltest du mitnehmen
- Deflation = allgemeiner Preisrückgang (Kaufkraft des Geldes steigt). Gegenteil von Inflation. In der Praxis dominiert meist leichte, gewollte Inflation.
- Ursachen: Produktivitäts- und Angebotszuwächse, Nachfrageschwäche in Rezessionen, schrumpfende Geld-/Kreditmenge – oft in Kombination.
- Wirkungen: In Abschwüngen drohen Arbeitslosigkeit, Firmenpleiten und eine Deflationsspirale- daher gilt lang anhaltende Deflation im Mainstream als gefährlich.
- Die Österreichische Schule unterscheidet „gute“ (produktivitäsgetriebene) von „schlechter“ (Kreditblasen-Bereinigung) Deflation und warnt vor Gegenmaßnahmen, die Zombie-Unternehmen erzeugen. Historisch gab es sowohl wachstumsbegleitende Deflation (spätes 19. Jh.) als auch krisenhafte (1930er).